Seijun Suzuki – Stilbildend für das Yakuza Genre
Natürlich ist „Branded to kill – 殺しの烙印 – Koroshi no rakuin Seijun Suzukis bekanntester Film in dem er virtuos sämtliche Genrekonventionen des Yakuza-Films sprengt. Zum Einstieg in sein Werk würde ich ihn genau aus diesem Grunde nicht empfehlen. Wenn man die Genreregeln anhand klassisch inszenierter Filme verinnnerlicht hat, kann man dieses Meisterwerk umso mehr genießen. Da Suzuki einer der Meister dieses Genres ist, gibt es entsprechend viele Filme in seinem Werk die sich für den Einstieg eignen.
Branded to kill war schließlich auch sein letzter Film für die Produktionsgesellschaft Nikkatsu. Sein Chef Hori kündigte ihm wegen “Unverständlichkeit” des Films. Hori selbst trat ein paar Jahre später von seinem Posten zurück nachdem sich Nikkatsu auf die Produktion von Roman Porno und Pinku Eiga konzentrierte. Suzuki landete auf einer schwarzen Liste, die ihn die nächsten zehn Jahre davon abhielt Kinofilme zu drehen. Er hielt sich in dieser Zeit mit Arbeiten für das Fernsehen und als Autor über Wasser. Aber davon später mehr.
Joe Shishido,der bevorzugte Schauspieler Suzukis, ist auch in vielen weiteren seiner Filme zu sehen. Seine markanten Wangenknochen sind übrigens das Ergebnis früher plastischer Chirurgie, der er sich unterzog um nicht mehr nur als Schönling gecastet zu werden. Abgesehen von den Filmen mit Suzuki ist er bei uns auch noch durch seine Rolle im letzten Teil der Pentalogie Battles without honor and humanity bekannt.
Hier also unser auf keinen Fall vollständiger Überblick über die Filme Seijun Suzukis.
Suzuki für Einsteiger
Anfangen kann man also sehr gut mit 探偵事務所23くたばれ悪党ども – Tantei jimusho 2-3: Kutabare akuto-domo – „Detective Bureau 23: Go to hell, Bastards!“. Eigentlich ein klassischer Yakuza-Film aber mit einer sehr leichten Note und einem tollen Tableau an Figuren. Hier darf Joe Shishido auch sein musikalisches Können in einer Show-Einlage unter Beweis stellen. Mit seinen komischen Einlagen gehört dieser Film zu den leichteren Filmen Suzukis, bleibt dem Genre aber durchweg treu. Vielleicht ist dies der beste Film für Einsteiger.
Klassischer Yakuza, aber doch streckenweise Komödie
Die obligatorische Tanzszene: in Detective Bureau 2-3 hervorragend in die Handlung integriert
東京流れ者 – Tokyo nagaremono – „Tokyo drifter – Der Mann aus Tokio“ ist einer seiner großen Filme und ein klassischer Yakuza-Film. Hauptfigur ist der Yakuza Tetsu, der durch Intrigen gezwungen ist Tokyo zu verlassen. In diesem Film lässt Seijun Suzuki wieder einmal „seine Vorliebe“ für musikalische Inszenierungen zur Geltung kommen (die Gesangseinlagen waren von den Studios vorgegeben um die Stars zu promoten). Das gleichnamige Titelstück des Films wird an mehreren Stellen in unterschiedlicher Atmosphäre eingesetzt. Tokyo drifter ist bereits stilistisch komplett von Suzukis Manierismen durchsetzt: exessiver Einsatz von Grundfarben, die schnell wechseln, harte, zum Teil desorientierende Schnitte, in diesem Film ist seine Handschrift vollständig ausgeprägt.
Die romantische Gesangseinlage des Wanderers im Schnee
Grundfarben bestimmen die Szenerie
Hinter dem reißerischen Titel „Jagd auf die Bestie“ – 野獣の青春 – Yaju no seishun verbirgt sich ein gekonnt inszenierter Thriller im Yakuza Milleu aus dem Jahre 1963 der vor kreativen Ideen strotzt. Seijun Suzuki breitet eine Handlungsebene nach der anderen aus und hält damit die Suspense dauerhaft hoch. Die Auflösung ist so überraschend wie konsequent und löst ganz zum Schluss auch noch den Titel (im wörtlicher Übersetzung: Die Jugend der Bestie) auf. „Jagd auf die Bestie“ wird als der Film angesehen, in dem der Suzuki-Stil zu seinem Durchbruch kam und sich seine Filme anfingen von den Genre-Konventionen zu lösen.
Immer noch eine Ebene mehr und nicht nur als Film im Film: Jagd auf die Bestie von 1963
Jagd auf die Bestie – Ernst Stravro Blofeld in einer Nebenrolle
Ein weiterer der bekannteren Filme Suzukis ist 関東無宿 – Kanto mushuku – Kanto wanderer. Mushuku heißt wörtlich eigentlich „Obdachloser“ was sich als Filmtitel wohl nicht so gut gemacht hätte aber auf das Ende des Films im übertragen Sinn besser gepasst hätte. Es geht unter Anderem um von der Yakuza kontrolliertes illegales Glückspiel und wie der Yakuza Katsuta einen Falschspieler zur Strecke bringen will und auch ansonsten die Ehre seines Clans verteidigt. Kanto wanderer ist ohne Abstriche ein klassischer Yakuza-Film.
Seijun Suzukis erster Farbfilm くたばれ愚連隊 – Kutabare gurentai – Go to hell, hoodlums! oder auch Fighting delinquents von 1960 war von der Produktionsfirma zur Vermarktung des Teenager Idols Koji Wada erdacht. Der Protagonist ist ein unangepasster Jugendlicher, der Konflikte mit der älteren Generation überwinden muss um seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Es handelt sich also um das Äquivalent zu den Halbstarken-Filmen bei uns und man kann sich tatsächlich gut ein Remake mit dem jungen Peter Kraus vorstellen. Cineasten können aber auch die ersten Ansätze zu Suzukis späteren Manierismen entdecken und Japanliebhaber werden sich über historische Aufnahmen Tokyos und eines Matsuris freuen, aber der Film ist kein Meisterwerk.
Branded to kill – das Meisterwerk
In Branded to kill geht es um den Wettkampf zwischen Auftragskillern um die Nummer 1 ihres Gewerbes zu werden. Ein Teil der Spannung ergibt sich daraus, dass die Killer nicht wissen wer sich hinter der jeweiligen Nummer verbrigt gegen die sie gerade antreten müssen. Joe Shishido spielt Goro Hanada, die Nummer 3. Seinen Sexualtrieb heizt er durch den Geruch von gekochtem Reis an, aber das ist nur einer der vielen Einfälle Suzukis die jedem Zuschauer in Erinnerung bleiben.
Die Anlage des Plots ist hochmodern, da jeder Killer einen individuellen Modus Operandi hat. Filmisch zieht Suzuki hier alle Register, geht erzähltechnisch höchst ökonomisch vor und dabei merkt man dem Film zu keinem Moment sein begrenztes Budget an. Branded to kill ist völlig zurecht ein Meilenstein des Yakuza-Films und sogar des Film Noir.
Waiting for the kill
Misako
Seijun Suzukis Yakuza-Filme als Geschichtsstunde
Suzuki hat auch eine Reihe von Filmen gedreht, die zwar die Genre-Konventionen des Yakuza-Films aufnehmen, aber vor anderen historischen Hintergründen spielen. Das erfordert dann, dass man sich zumindest ein wenig mit diesen Abschnitten der japanischen Geschichte beschäftigt, da es sonst streckenweise schwierig wird die Handlung zu verstehen. Letztendlich ist es aber auch befriedigender wenn man unterhaltsam noch etwas lernen konnte.
花と怒涛 – Hana to doto – The flowers and the angry waves ist genau so ein Film im Werk Suzukis. Die Story um den Ex-Yakuza Kikuji, der am Ende der Meiji-Ära zwischen die Fronten von Bauunternehmern im Yakuza-Umfeld, Gewerkschaftern, korrupten Beamten und der Polizei gerät, sich eigentlich aber nur ein neues Leben mit seiner Geliebten aufbauen will, ist dicht gepackt und strotzt vor brillianten Einfällen. Den Yakuza-Killer im Zorro-Kostüm vergisst man nicht mehr und die Spannung hält bis zur letzten Minute an. Bereits in der Eröffnungssequenz zeigt Seijun Suzuki was ökonomisches Story Telling ist – Filmliebhaber kommen also auch auf ihre Kosten. In seiner Mischung aus Jidai geki und Yakuza-Film ist Hana to doto dem ein Jahr später gedrehten Tattooed life nicht unähnlich.
Schwertkampf auf der Baustelle
Nicht ganz der Rächer der Enterbten
刺青一代 – Irezumi ichidai – Tattooed Life ist die Geschichte zweier Brüder, die erfolglos versuchen in die Manschurei zu gelangen um dort ihr Glück zu machen. Also spielt die Handlung im frühen 20. Jahrhundert als das japanische Kaiserreich nach dem Russisch-Japanischen Krieg seinen Einfluss tief nach China hinein ausdehnte. Die Brüder werden jedoch um ihr Geld betrogen und heuern als Bauarbeiter an um wieder zu Geld zu kommen. Dabei geraten sie zwischen die Fronten rivalisierender Yakuza Gangs und der ältere Bruder wird von seiner Vergangenheit als Ex-Yakuza (daher der Name des Films) eingeholt. Insbesondere der Handlungsstrang in dem Tetsu seinen jüngeren Bruder vor den Intriegen beschützen will, war mir etwas zu melodramatisch, ansonsten aber ein überzeugender Film.
Zeit für den Showdown
Die ungleichen Brüder
けんかえれじい – Kenka eregi – Fighting elegy drehte Seijun Suzuki vor Branded to kill, setzte aber nur die erste Hälfte der literarischen Vorlage um. Die Fortsetzung fiel dann seinem Rauswurf bei Nikkatsu zum Opfer. Ich fand den Film etwas schwer zugänglich und würde ihn grob als Material Arts Version der Feuerzangenbowle vor dem Hintergrund des versuchten Staatsstreichs von 1936 (Ni Niroku Jiken – 二・二六事件) beschreiben, also Komödie mit recht expliziten Gewaltszenen, die sich im Laufe des Film in ein historisches Sozialdrama wandelt. Formal ist Fighting elegy wiederum sowohl filmtechnisch als auch inszenatorisch sehr interessant und die Darstellung unterdrückter Sexualität deutet schon auf Branded to kill voraus. Vielleicht eher ein Film den man sich anschauen sollte nachdem man sich bereits ein wenig mit Suzukis Werk beschäftigt hat.
Kenka eregi – けんかえれじい – Fighting Elegy 1966
春婦伝 – Shunpu den – Story of a prostitute spielt ebenfalls im von Japan besetzten China des zweiten Weltkriegs, genauer gesagt im Marionetten-Staat der neuorganisierten Regierung der Republik China in der Nähe von Tianjing. Als Melodram ist der Film zwar gut gemacht, aber die Motivationen der Figuren sind teilweise schwer nachzuvollziehen und sie kommen auch sehr schablonenhaft daher. Letzendlich trägt der geschichtliche Hintergrund den Film nicht. Ich fand ihn eher mühsam.
肉体の門 – Nikutai no mon – Gate of flesh erzählt die Geschichte einer ganzen Gruppe von Prostituierten, diesmal in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Gate of Flesh kann man getrost als Sexploitation-Film bezeichnen. Die weiblichen Rollen mussten mit Schauspielerinnen besetzt werden, die nicht bei Nikkatsu unter Vertrag waren, da sich diese sämlichst weigerten die geplanten Nacktszenen zu drehen. Anderseits treffen in diesem Film die beiden Nikkatsu-Stars Koji Wada und Joe Shishido aufeinander. Die Inszenierung ist erkennbar von Suzukis Handschrift geprägt, was aus dem Film dennoch kein Meisterwerk macht.
Wieder mal in Grundfarben gekleidet, die Darstellerinnen in Gate of flesh
DAS FRÜHWERK
Viele seiner frühen Filme sind eindeutig vom Film Noir beeinflusst und Seijun Suzuki versucht seine Vorbilder auch gar nicht zu verstecken. Deshalb seinen hier auch nur einige Beispiele aufgeführt. So wird man in der Eröffnungssequenz von 暗黒街の美女 – Ankokugai no bijo – Underworld beauty direkt an Der dritte Mann von Carol Reed erinnert. Suzuki beherscht die Stilmittel des Film Noir perfekt und schafft mit der Story um als Wiedergutmachung für einen schiefgegangenen Raub gedachte Diamanten einen spannenden Thriller.
Bei 十三号待避線より その護送車を狙え – Jusango taihisen yori: Sono gosohsa o nerae – Take aim at the police van übernahm Michitaro Mizushima wieder die Hauptrolle. Diesmal als Gefängniswärter der den Überfall auf seinen Gefangenentransport auf eigene Faust aufklären will. In diesem Film wird man öfters an die Edgar Wallace oder Mabuse Filme von Artur Brauners CCC-Film Produktion erinnert, allerdings ohne dass es jemals klamaukig wird, also im guten Sinne.
DAS SPÄTWERK
Nach seinem Rauswurf bei Nikkatsu drehte Seijun Suzuki erst 1977 wieder einen Film fürs Kino.
2001 drehte er mit Pistol Opera noch ein spätes, gelobtes Remake von Branded to kill. Pistol Opera knüpft als einziger Film seines Spätwerks thematisch an seine vorherigen Filme an. Ansonsten heben sich seine späten Filme thematisch deutlich von denen ab, die er vorher gedreht hat. Die Rolle des Killers besetzte er mit Makiko Esumi dieses Mal weiblich. Die Handlung ist noch abstrakter als in der Vorlage und so ist eine eher philosophische Reflexion des Originals entstanden. Als Genrekost ist diese Version des Stoffs nicht so zugänglich wie Branded to kill auch wenn sie alle notwendigen Zutaten mitbringt. Alle Protagonisten spielen eher stereotype Rollen was stark an Kabuki oder das Noh-Theater erinnert. Sehenswert, allerdings eher für Cineasten.
1977 kehrte Seijun Suzuki mit 悲愁物語 – Hishu Monogatari – A tale of sorrow and sadness auf die große Leinwand zurück. Jedoch floppte der Film um ein Model, dass zur Profi-Golferin bzw. zu einem TV-Star aufgebaut wird und von deren Erfolg anschließen alle etwas abhaben wollen, an den Kinokassen. Selbst die Beteiligung von Joe Shishido und Koji Wada konnte dem Film nicht zu Erfolg verhelfen. Von heute aus betrachtet, ist er auch nicht gut gealtert und bleibt trotz seiner zeitlosen Kritik am Starkult ein Ausdruck der Zeit in der er gedreht wurde.
A tale of sorrow and sadness 1977
Seijun Suzukis letzter Film war dann 2005 オペレッタ狸御殿 – Operetta Tanuki goten – Princess Rakoon. Hier handelt es sich, wie der Originaltitel bereits klar macht, um einen Musikfilm. Mit der kunterbunten Inszenierung rund um die Tanuki-Princessin zeigt Suzuki sein ganzes Können bei der Umsetzung von Musikfilmen. Der Film macht mit seinem Feuerwerk an Ideen und Versatzstücken der unterschiedlichsten Kulturen (japanische Folklore, Operette, Tango, Reagge, etc.) einfach nur Spaß. Tanuki, also Marderhunde, sind mittlerweile auch bei uns heimisch. Hier sind die Tanuki als Yokai gemeint, die wie Kitsune (Füchse) Formwandler sind, aber eher versuchen die Menschen hineinzulegen und dumm aussehen zu lassen.
Es wird bunt im Palast der Marderhunde, hier beim Tanuki-bayashi.
Die Taisho Trilogie
Eine besondere Stellung unter den Filmen, die Seijun Suzuki nach seiner Trennung von Nikkatsu drehte, nimmt die Taisho Trilogie ein. Diese wurde nach der Taisho Ära benannt, die zwischen Meiji und Showa Ära in den Jahren 1912 bis 1926 liegt. Gelegentlich werden die Filme als surealistische Geistergeschichten bezeichnet, was die Filme aber nicht annähernd beschreibt. Im englischsprachigen Raum ist man schnell mit Vergleichen zum Werk David Lynchs bei der Hand. Zigeuerweisen wirkt auf mich eher als hätte Alejandro Jodorofsky versucht einen Rainer Werner Fassbinder-Film zu drehen. Aufhänger für die Handlung ist eine Grammophon-Aufnahme des titelgebenden Stücks von Pablo de Sarasate in der im Hintergrund Sarasates Stimme unverständlich zu hören ist. Geisterhaft Botschaften kommen im weiteren Verlauf des Films noch mehr vor und sie bereiten auch die sehr intelligent gemachte „Auflösung“ der Geschichte vor.
Bei Kagero-za macht Suzuki gleich von Beginn an klar, dass wir uns nicht in der oder nur einer Realität befinden. Schnell geht es um die Frage bestimmt der Protagonist oder sein Gegenspieler die Handlung und es entspinnt sich ein komplexes Vexierspiel um die einzelnen Personen der Handlung insbesondere um O-Ine / Irene, die Frau des Antagonisten.
Zehn Jahre später erfolgte dann mit Yumeji der Abschluss der Taisho-Trilogie. Auch hier geht es wieder um Identität und Autorschaft, diesmal mit einem Maler als Protagonisten. Das handlungstreibende Rätsel ist hier der angebliche Mord am Ehemann der von ihm umworbenen Frau. In einer Nebenrolle kann man hier Tamasaburo Bando, den Kreativ Direktor von Kodo, sehen.
Die drei Filme kann man gut in einem Block ansehen, da sie alle eine ähnliche Stimmung haben. Sie haben allerdings nichts mehr mit seinen Yakuza-Filmen gemein.
Anmerkungen
Allen, die sich noch weiter mit der Materie beschäftigen wollen, seinen die folgenden Bücher empfohlen:
Isolde Standish, A new history of japanese cinema, Continuum International Publishing, 2005, ISBN 0-8264-1709-4
Mark Schilling, No borders No Limits – Nikkatsu Action Cinema, Fab Press, 2007, ISBN 978-1-903254-43-1